Jedes Lebewesen ist «elektrosensibel»

Jede Bewegung, die Atmung, das Sehen, das Denken und auch unsere Herzfunktion basiert auf feinsten elektrischen Signalen, die über unsere Nervenbahnen gesendet werden und eine Reaktionen in z.B. Muskelzellen auslösen.

Unsere Zellen kommunizieren auf der Grundlage elektrophysiologischer Vorgänge. Deshalb können in unserem Körper die Gehirnströme oder Muskelaktivität mit EEG (Elektroenzephalografie) gemessen werden oder z.B: die Herzfunktion mit einem EKG (Elektrokardiogramm) überwacht oder analysiert werden. (Quelle 1)

Wer ist Elektrohypersensibel (EHS)?

Die Intensität der Wahrnehmung von Reizen und Einflüssen aus der Umwelt (Licht, Lärm, Zugluft, Bewegung, Wärmestrahlung, elektromagnetische Felder, etc.) ist individuell verschieden.

Der Eine stört z.B: Zugluft überhaupt nicht, während jemand anders die selbe Situation bereits als äusserst unangenehm empfindet.Ähnlich verhält es sich bei oder Wahrnehmung der elektromagnetischen Felder.

Einige Menschen zeigen allerdings messbare körperliche Reaktionen auf diese Strahlung. Sie können in ihrem Wohlbefinden gestört werden, allergieähnliche Symptome erleiden oder an der Strahlung erkranken.

Sie reagieren damit überempfindlich bzw. «hypersensibel» darauf. Deshalb nennt man diese Beeinträchtigung Elektrohypersensibilität (EHS). (Quelle 1)

Welche Beeinträchtigungen durch EHS sind erforscht?

In einem Forschungsüberberlick haben zwei Wissenschaftlerinnen aus USA und Israel im Juli 2020 die durch Studien erforschten und durch EHS ausgelösten Beeinträchtigungen sowie die zugrundeliegenden Wirkmechanismen untersucht und zusammengefasst.

Bei vielen EHS-Betroffenen wird durch übermässigen (oxidativen) Stress das körpereigene Entgiftungssystem überlastet. Die Bestrahlung durch elektromagnetische Felder kann bei diesen Personen zu Störungen in lebenden Zellen, zu veränderten Funktionen von Nerven und des Gehirns sowie Störung der Blut-Hirn-Schranke hervorrufen.

In den Studien wurden auch Auswirkungen auf das autonome Nervensystem mit Symptomen im Herz-Kreislauf-System, auf die Haut, das Mikrogefässsystem und das Immunsystem gefunden. (Quelle 2)

Ist EHS eine anerkannte Beeinträchtigung?

In Schweden gilt Elektrohypersensibilität seit 2002 als „körperliche Beeinträchtigung“. Viele Krankenhäuser bieten deshalb abgeschirmte Behandlungszimmer für Menschen mit elektromagnetischer Hypersensibilität. (Quelle 2)

In verschiedenen Bundesstaaten der USA wird mit speziellen Programmen wie z.B: «Monat der Elektrosensibilität» das Bewusstsein für EHS aufgebaut.

Bereits im 2009 wurde durch das Europaparlament festgehalten, dass weitere Staaten dem Beispiel von Schweden folgen sollen.

2011 forderte der Europarat besondere Aufmerksamkeit für elektrosensible Menschen und dazu auf, strahlungsfreie Gebiete, Gebäude oder auch Arbeitsplätze zu schaffen. (Quelle 3)

Von Gerichten anerkannte Beeinträchtigungen durch EHS:

  • Im Jahr 2015 erkannte ein Gericht in Frankreich Elektrosensibilität als schwere Behinderung an und sprach Marine Richard, einer 39-jährigen Journalistin, finanzielle Hilfen zu.
  • Das oberste Gericht von Madrid hat im Jahr 2016 die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit eines Telekommunikationsingenieurs aufgrund von Elektrosensibilität anerkannt.
  • In Italien wurde im 2017 einem durch Mobilfunk geschädigtem Mann (Hirntumor) eine lebenslange Rente bewilligt.
  • Ein Gericht erkennt im Jahr 2019 die Unverträglichkeit gegenüber elektromagnetischen Wellen eines Forschungstechnikers als arbeitsbedingte Krankheit an.
  • Französisches Gericht ordnet auch im 2019 aus medizinischen Gründen die Entfernung von Linky-Stromzählern (Smart Meter) an, nachdem Hausbesitzer über Beschwerden klagten.

(Quelle 4)

Kann EHS in Studien nachgewiesen werden?

Ja. Eine der ersten Studien darüber stammt aus 1961 und weist mit dem Frey-Effekt die Wahrnehmungsfähigkeit von hochfrequenter Strahlung durch Menschen nach.

Personen, die für gepulste Hochfrequenzstrahlung (Mikrowellen) hypersensibel sind, beschreiben die auftretenden Geräusche als sehr leise Klicklaute, die synchron zur Strahlung auftreten und nur bei Stille hörbar sind.

Nach Veröffentlichung erster Daten zum Frey-Effekt wurde weiter nach den Ursachen und Auswirkungen des Phänomens geforscht. Als Entstehungsort des Reizes wird die menschliche Gehörschnecke (Cochlea) im Innenohr angenommen. Der Frey-Effekt gilt als ein wissenschaftlich allgemein anerkanntes Phänomen. (Quelle 5)

Elektrohypersensibilität: Tatsache oder Einbildung? (2011)

Ende 2011 erschien von den kanadischen Umweltmediziner Stephen Genuis und Christopher Lipp einen Forschungsüberblick (Review) über die Ursachen von Elektrohypersensibilität. Dieser wurde Anfangs 2012 von Diagnose Funk ins deutsche übersetzt und als «brennpunkt» veröffentlicht.

Die beiden Autoren kamen zum Schluss, dass Wissenschaftler und Kliniker das Phänomen der Überempfindlichkeit gegenüber elektromagnetischer Strahlung anerkennen und EHS deshalb als Krankheit eingestuft werden kann. Sie schrieben in ihrer Zusammenfassung: «Verschiedene Organisationen, darunter die Weltgesundheitsorganisation(WHO) und einige Staaten, untersuchen dieses klinische Phänomen sorgfältig, um die gehäuft vorkommenden, unspezifischen, systemübergreifenden, oft schwächender Symptome im Zusammenhang mit nichtionisierender Strahlung (NIS) besser erklären zu können.» (Quelle 6)

Havanna-Syndrom (2016)

Das rätselhafte Syndrom wurde erstmals 2016 bekannt und später auch in der Tagespresse wiederholt publiziert. Damals wurden in der kubanischen Hauptstadt dutzende Fälle unter US- und kanadischen Diplomaten sowie ihren Familienangehörigen festgestellt.

Die Betroffenen litten unter Benommenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Hör- und Sehproblemen. Einige der Betroffenen verloren dauerhaft ihr Gehör. Experten am Center for Brain Injury and Repair an der University of Pennsylvania untersuchten einige der US-Bürger, die in Kuba verletzt wurden und veröffentlichten 2018 eine Studie in der Fachzeitschrift Journal of the American Medical Association. Darin schreiben die Forscher, die Patienten seien stark beeinträchtigt in ihren Gleichgewichts-, kognitiven, motorischen und sensorischen Fähigkeiten – so wie Menschen, die eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. (Quelle 7)

Ende 2020 schrieb dann auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ):
«Gepulste Mikrowellen sollen das mysteriöse Havanna-Syndrom auslösen»:

«Seit 2016 sind rund 40 Botschaftsmitarbeiter und Familienangehörige aus den USA und Kanada in Kuba, China und Russland an mysteriösen Beschwerden erkrankt: Sie hörten laute Geräusche und erlitten Schwindelanfälle, Kopfschmerzen und Sehstörungen. Auch Gedächtnisverlust und andere Symptome traten dabei auf. Manche gesundeten schnell, andere mussten vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden. Weil die Erkrankungen zuerst in Kuba auftraten, werden sie als «Havanna-Syndrom» bezeichnet. …» (Quelle 8)

Weitere Studien

Wir laden Sie dazu ein, sich selbst ein Bild der vielen Studien über EHS zu machen.

Suchen Sie nach «EHS» auf der Internet-Informationsplattform EMF-Portal der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) von Aachen in Deutschland.

Fazit

Es gibt eine Fülle an Studien, die Elektrohypersensibilität beim Menschen nachweisen und die verschiedenen Wirkmechanismen nachvollziehbar erforschen und beschreiben.

Es gibt Gerichtsentscheide, die EHS anerkennen und Massnahmen und Entgelte für Betroffene angeordnet haben.

Dennoch wird diese Beeinträchtigung in unserer Gesellschaft als Phänomen einer Randgruppe angesehen. Sehr erstaunlich ist es auch, dass Mobilfunkunternehmen und davon profitierenden Gruppierungen unentwegt behauptet, dass Mobilfunkstrahlung diesbezüglich unproblematisch sei.

Quellennachweis

Quelle 1: https://diagnose-ehs.org/die-erkrankung/was-ist-ehs/

Quelle 2: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0013935120303388

Quelle 3: https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail&newsid=346

Quelle 4: https://www.elektrosensibel-ehs.de/

Quelle 5: https://de.wikipedia.org/wiki/Frey-Effekt

Quelle 6:
PubMed (EN): https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22153604/
Diagnose Funk(DE): https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail?newsid=346

Quelle 7:
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Havanna-Syndrom
Deutsche Welle: https://www.dw.com/de/mysteri%C3%B6se-krankheit-in-us-botschaften-was-wissen-wir/a-58982555

Quelle 8: https://www.nzz.ch/international/havanna-syndrom-mysterioese-erkrankung-von-mikrowellen-ausgeloest-ld.1590636 (Kostenpflichtiger Content)